Das Jahr 2023 ist gerade mal knapp neun Wochen alt. In einem normalen Jahr hätten wir nun die ersten Jahresempfänge hinter uns und würden zuhause nochmal klarstellen, dass die MIPIM eine Arbeitsmesse ist. Doch 2023 ist kein normales Jahr. Die ersten zwei Monate fühlen sich an wie zwölf – oder sogar mehr.
Ein Ausblick ohne Ausblick
Nach zehn Jahren Sonnenschein hat sich nicht nur die Stimmung an den Märkten eingetrübt. Banken und Finanzierer verzeichnen ein Neugeschäft in geringem Umfang. Um die Verschuldungsquote stabil zu halten, müssen Investoren mehr Eigenkapital und Sicherheiten in die Hand nehmen. Businesspläne rechnen angesichts steigender Zinsen nicht mehr. Kurzum: Alle müssen risikoadjustieren. Der gesamte Markt hofft, dass es ab Ostern, aber doch spätestens ab Sommer besser wird am Finanzierungsmarkt. Aber was soll denn besser werden? Sollen die Zinsen wieder deutlich sinken? Sollen die Preiserwartungen der Verkäufer sinken? Oder sollen Käufer wieder bereit sein, höhere Preise zu zahlen? Solche Träumereien sind hier fehl am Platze!
Enttäuschend ist aber auch, wie aus meiner Sicht systemrelevante Themen bewusst vernachlässigt, werden: Pflegeimmobilienmarkt, Der Entwurf für Pflegereform ist deutlich zu mutlos. Betreiber sind die Leidtragenden, dürfen nicht verdienen und werden mit Mehrkosten wie Zeitarbeit und Nebenkostensteigerungen völlig allein gelassen.
Realistischer ist es doch, dass wir uns darauf einstellen, dass 2023 ein hartes Jahr für uns wird. Glück haben die, die Reserven in den guten Zeiten gebildet haben. Auch wenn man das eigentlich nicht als Glück, sondern als unternehmerische Weitsicht bezeichnen kann.
Zu spät für risikoavers, zu früh für risikoaffin
Genau diese Zusammenfassung beschreibt den Transaktionsmarkt am besten. Vielfach wird über Preisabschläge diskutiert, zumeist zwischen 20 und 30 Prozent gegenüber dem letzten Jahr oder auch dem davor. Was fehlt, sind lediglich zahlenmäßig relevante Transaktionen. Käufer und Verkäufer stehen sich mit unterschiedlichen Vorstellungen gegenüber, zumindest wird das gemutmaßt. Doch während risikoscheue Investoren nicht fündig werden, stehen auch die risikoliebenden Käufer noch in den Startlöchern. Denn im Bereich der Notverkäufe und NPLs fehlen sie ebenfalls, die zahlenmäßig relevanten Transaktionen.
Das Einzige, was scheinbar funktioniert, sind kleine Tickets, niemand will derzeit Portfolien. Wir haben in diesem Jahr schon acht Objekte eines Portfolios mit insgesamt 24 Objekten am Markt platziert – und zwar zum Fair Value 2022 und abseits der Big Seven. Das geht also, wenn man die Realität akzeptiert.
ESG = Einzig stabiles Gesprächsthema
Was auch funktioniert, ist das Evergreen-Thema ESG. Kaum ein Fachgespräch kommt heute ohne die Abkürzung aus. Doch inzwischen ist Fleisch am Knochen. Fast alle Marktteilnehmer haben verstanden, dass es in naher Zukunft ohne ESG-konformen Produkte keine relevanten Core-Transaktionen mehr geben wird. Gut, was das genau bedeutet, wissen wir heute auch noch nicht. Aber „Manage to ESG“ ist zum Mantra unserer Branche geworden.
Büro = Kann das weg?
Wobei eine „zinsunabhängige“ Diskussion auch weiterhin geführt wird – und zwar genauso emotional wie zu Beginn der Pandemie. Brauchen wir Büros eigentlich noch? Wie viel Fläche ist eigentlich noch nötig für meine Mitarbeiter und mich? Und mal ganz allgemein: Wie wollen wir eigentlich arbeiten? Vor knapp drei Jahren habe ich einmal gesagt, dass wir uns in einem großen Laborversuch befinden. Ein großes „Try & Error“ der Arbeitswelten. So ziemlich 36 Monate nach Beginn der Pandemie ist der Laborversuch alles andere als beendet.
Wir sehen lediglich, dass die Flächenauslastung nach wie vor gering ist, obwohl wir eigentlich wieder normal fünf Tage die Woche ins Büro gehen könnten. Also muss sich etwas geändert haben. Ja, richtig: Wir Arbeitgeber haben uns geändert. Wir haben – zum Teil schmerzhaft – gelernt, dass „Homeoffice“ nicht gleichbedeutend mit „Faulenzen“ ist. Work from Anywhere kann die Produktivität und Zufriedenheit steigern.
Im Markt führt das zu einem sprunghaften Anstieg an Untermietangeboten. Oder nein, es könnte zu einem sprunghaften Anstieg führen, wenn es nicht auch weiterhin die leidvollen Themen rund um Datenschutz, Datensicherheit und Abrechnung gäbe. Aber da gibt es ja noch Coworking – aus meiner Sicht steht hier der große Wurf noch aus. Wir werden weitere Konzepte und Anbieter im Shared Space-Bereich sehen, nicht nur in Hamburg, sondern auch in Meppen und Haren!
Zweite Miete? Wohl eher doppelte Miete!
Ein echter Kassenschlager sind aber nach wie vor moderne Büroflächen. Das liegt nicht nur an ihrer Attraktivität, sondern auch an ihren geringen Nebenkosten. Geringe Nebenkosten sind längst so etwas wie eine neue Assetklasse und dürfen in keinem Vermarktungsgespräch mehr fehlen. Bei Energieträgern ist das längst kein Geheimnis mehr. Aber immer öfter geht es auch um die weiteren Kosten für Instandsetzung & Co. Unsere Gebäude werden immer mehr zu „Hightech-Palästen“. Nutzer wollen aber vielmehr „Lowtech“, die funktioniert. 1.000 Sensoren in einem Raum können leichter kaputt gehen also 10. Eigentlich doch simpel. Die neue Preissensibilität könnte dazu führen, dass solche „Prestige-Technologisierungen“ künftig hinterfragt werden.
Ich sehe darin ehrlich gesagt nichts Negatives.
Kopf hoch und Augen geradeaus
Natürlich sind das keine Jubeltöne. Ehrlich gesagt wundert es mich, dass die Stimmung am Markt besser ist als die tatsächlichen Aussichten. Aber ganz ehrlich: In jedem Markt sind Geschäfte möglich. Durchhalten und Einatmen für bessere Zeiten – die kommen ganz sicher – lautet die Parole. Aber es ist auch Zeit die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen (dafür ist eigentlich immer Zeit) und zwar bspw. im Assetmanagement: Digitalisierung, Nebenkostenoptimierung, Mieterbindung, Manage to ESG, Immobilie als Betreiber denken und so weiter und so fort. Wir befinden uns in einer Phase der Kosteneinsparung, sei es nun für Personal, Miete oder auch uns Berater. Aber diese Kosteneinsparung ist kurzsichtig. Denn wenn die besseren Zeiten kommen, wird es wieder auf die besten Köpfe ankommen.
Und die sichert man sich am besten in schweren Zeiten.
PS: Auch in diesem Jahr heißt es bei mir wieder Kappeln statt Cannes!